Aliens, die uns lieben. Teil 2.

Verdiene dein Leben durch Lieben!

Über die Bedeutung des Dialogs für das mutige Miteinander. Und über Aliens in unserem Leben.

Wie handeln wir richtig? Und wie gemeinsam?

Das Wissen ist da. Am kritischen Denken fehlt es nicht. Warum handeln wir in wichtigen Fragen nicht gemäß unserer Einsichten?

Eine Antwort auf diese Frage finden wir, bereits in der Wiege der Aufklärung, bei Friedrich Schiller. Denn anders als Kant übersetzt er den lateinischen Imperativ „Sapere aude!“ mit den Worten: „Erkühne dich, weise zu sein.“ So heißt es bei ihm. Während Kühnheit und Mut nicht weit voneinander entfernt liegen, stellt Schiller dem Verstand Kants also die Weisheit gegenüber. Der Verstand ist ein Instrument, das geschliffen werden kann, das durch Übung an Präzision gewinnt. Die Weisheit hingegen bezieht lebendige Erfahrung mit ein. Es gibt keine Weisheit ohne Schmerz und Freude, ohne das menschliche Miteinander, ohne den Irrtum – während ein scharfer Verstand die Empfindung als subjektiven Ballast zu eliminieren sucht. Schillers Vorstellung von der Aufklärung unterscheidet sich von derjenigen Kants. Bei ihm geht es nicht ohne die Herzensbildung. Der Verstand ist nicht losgelöst vom menschlichen Gefühl und vom Mitgefühl. „Alle Menschen werden Brüder“, schreibt Friedrich in der Ode an die Freude. Ein Wunsch, der mir als Kind beim Betrachten von Sagans Wissenschaftsgeschichte „Cosmos“ in Reichweite zu liegen scheint. Am Ende scheinen doch all die Denker der Jahrtausende in einem Dialog zu stehen, der die Menschheit insgesamt der Weisheit näher bringt.

Fakten ersetzen nicht den Dialog.

Wer immer schon zu wissen meint, schreibt das Funktionsschema der Schulbildung fort. Auswendiglernen und zur passenden Zeit wiedergeben. Das Zwiegespräch kommt zwischen Faktensammelnden zu kurz, wenn sie sich bloß Bälle zuwerfen, die immer schon zum Spiel gehören. So sagen wir irgendwann nur noch das, was wir irgendwo aufgeschnappt haben. Unser Verständnis des Dialogs gerät zum Informationsaustausch. Sogar das freundschaftliche Gespräch gerät dabei nicht selten zum „Ratgeber“, so als gelte es, ein Defizit auszugleichen, das mit mangelndem Wissen über menschliche Bedürfnisse und seelische Probleme zusammenhänge. Wer so denkt, folgert aus der vollständigen Kartografierung der Welt auch die Kartografierung des Menschen, der Seele, ja alles Lebendigen. (Darin liegen ja auch große aufklärerische Heilsverspechen.)

Jedoch verändert diese Weltsicht auch unser Verständnis vom Wollen. Etwas zu wollen, das bedeutet nun, zwischen Optionen auszuwählen oder entfernte Optionen greifbar werden zu lassen. Wollen wird gleichbedeutend mit Auswählen. Nicht wenige würden das für Freiheit schlechthin halten. Persönliches Wachstum entsteht dieser Logik zufolge durch die Auswahl der Optionen, die zu Besitz führen. Besitz und Freiheit werden miteinander gekoppelt. Die Freiheit lässt sich nun auspreisen. Letztlich offenbart sie jedoch eine Unfreiheit des Denkens, das das Interesse an der offenen, „ziellosen“ Begegnung verliert. Wir wollen keine Entdecker mehr sein. Der Zauber und der Mut des Zwischenmenschlichen verkümmern zum Tindern in Echtzeit. Es vollzieht sich ein Wandel unserer Vorstellung vom Miteinander, das wir zunehmend für ein Organisationsproblem halten. Die Sklaverei mag abgeschafft sein. Es gibt allenfalls Menschen mit mehr oder weniger Optionen. (Das ist übrigens, zu meinem großen Bedauern, zynisch.)

Die virtuell nachgebaute Bibliothek im antiken Alexandria. Das Buch zur Serie „Unser Kosmos“ erschien damals bei Droemer Knaur. Der 380 Seiten dicke Schinken ist aus meiner Jugendzeit nicht wegzudenken. Noch heute blättere ich gern darin.

Während Carl Sagans beredte Begeisterung beim Durchwandeln der virtuellen Bibliothek Alexandrias auf mich überschwappte, unterließ auch der kluge Wissenschaftler und Moderator nicht den Hinweis darauf, dass mutige Menschen zu allen Zeiten die Fesseln des Denkens und das Denken selbst hinterfragt haben – selbst den Lauf der Sterne haben die alten Griechen in Frage gestellt: nicht jedoch die Fesseln der Sklaverei …

Aha, staunte der jugendliche Fernsehgucker. So war das also. Die Grenzen des Denkens lagen scheinbar andernorts als die Grenzen, innerhalb derer gedacht wurde. Die Früchte des Baumes der Erkenntnis wurden nicht einfach so zwischen allen aufgeteilt, sondern die Hungrigen mussten sich ihre Teilhabe erkämpfen. Ein Freiheitskampf, den wir auch heute nicht gewinnen, obwohl uns die theoretischen Trauben in den Mund zu hängen scheinen. Denn wenn wir heute nur noch mit Auswählen beschäftigt sind, verlernen wir letztlich, was wir brauchen.

Denkgewohnheiten nicht in Frage zu stellen, mag bei den alten Griechen andere Gründe haben als heute. Selbst, wenn es wahr ist, wie der Philosoph Max Horkheimer es beschreibt, dass der Fortschritt letztlich nur noch im „Auf-die-Knöpfe-drücken“ liege, so dürfen wir uns noch lange nicht als Knöpfedrücker verstehen. Vielmehr gilt es, unserer Lebendigkeit gewahr zu werden. Es ist ja nicht so, als würden wir heute nicht auf den Schultern der Aufklärung stehen. In der freien Gesellschaft bedarf es lediglich eines kleinen Seitschritts hin zur „inneren Freiheit“.

Sich ein Herz fassen.

Das Aufbegehren einer jungen Generation gegen die professionelle Prokrastination der Verantwortlichen beim Bewältigen der drängenden Menschheitsprobleme ist keine Spinnerei auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Die junge Generation ist den Älteren voraus, weil sie sie schlicht beim Wort nimmt. Ein Klima-Einstein richtet heute nichts mehr aus. Wer in Verantwortung steht, muss begreifen, dass es um neue Formen der Teilhabe geht, die nicht auf einem autoritären Gefälle beruhen, sondern auf Gleichberechtigung in der Gegenwart und „mit“ der Zukunft. So gelingt uns im Großen, was uns im Kleinen durch das Zwiegespräch gelingt. An unserem Willen offenbart sich unser Mut, weise sein zu wollen. Um auf Carl Sagan zurückzukommen: vielleicht benötigen wir dann niemanden mehr, der für die Menschheit spricht.

Die Quintessenz des gelingenden Gesprächs (für das ich vorangehend mitunter die etwas staubige Formulierung Zwiegespräch verwendet habe) liegt in der Beziehung zu den Menschen und zur Welt. Henry David Thoreau markiert für mich bereits im 19. Jahrhundert die möglichen Gegensätze dieser Beziehung: Du kannst dein Leben erringen durch Lieben. Oder du versinkst in der Resignation. Wer willst du sein?

Eine Entscheidung ist ein Weg.

Übrigens habe ich ein wichtiges Detail aus der in Teil 1 genannten Heimkinovorführung noch nicht erzählt. In dem Film ging es um Liebe, um das gelingende Gespräch, ach ja, auch mit tentakligen Aliens – sehr sehenswert! (Man weiß noch nicht mal, wie man da die Hand schütteln soll.) Und es ging um Mut. Um den Mut zum Gespräch. Tatsächlich haben wir die Wahl. Oder, wer lieber mit Säbeln rasselt oder sich entrüstet, wartet noch ein wenig: auf Aliens, die uns lieben.

Teil 1 lesen

Kommentar verfassen

Bitte logge dich mit einer dieser Methoden ein, um deinen Kommentar zu veröffentlichen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s